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Zeit für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft

Interview mit Michèle Kottelat, Expertin für Nachhaltigkeit

Michèle Kottelat warum spielt Nachhaltigkeit in Ihrem Leben eine so wichtige Rolle spielt?

Ich bin mit dem Bericht des “Club of Rome”, der die Grenzen des Wachstums aufzeigte aufgewachsen. Seither verfolge ich die Initiativen auf der Suche nach einer nachhaltigeren Wirtschaft. In den 70ern habe ich zusammen mit den Alusammelgruppen die Einführung des Alu-Recycling Signets für Aluverpackungen eingefordert. Aluminium ist ein wertvolles Material, das endlos und ohne Qualitätsverlust rezykliert werden kann. In den 80er-Jahren habe ich grosse Hoffnung in die Schweiz als Öko-Pionierin gesetzt. Ich erinnere mich gerne an die spannenden “Tour de Sol” Rennen für Fahrzeuge mit Solarantrieb von 1985 – 1993. Die begeisterten Tüftler und Ingenieure arbeiteten mit Verve an ihren Projekten. Leider war das wirtschaftliche Umfeld für weitere Entwicklungen noch nicht bereit und die Schweiz hat ihren Vorsprung verspielt.

Letztes Jahr haben mein Mann und ich ein hochseetaugliches, kreislauffähiges 100% Elektro-Kabinenboot als Pilot bauen lassen. Diesen Sommer ist es mit hocheffizienten Solarpanels vom CSEM ausgerüstet worden. Es hat viel Freude gemacht, das hochgesetzte Ziel zu erreichen und der Welt zu beweisen, dass auch auf dem Meer mehr Nachhaltigkeit möglich ist.

 

Wo stehen wir auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft und Wirtschaft?

Die Reaktionen, die ich mir seit langem wünsche sind jetzt endlich in Gang gekommen.

Klimawandel, Ressourcenknappheit und der Ruf nach sauberen Energien haben einen weltweiten Transformationsprozess in der Wirtschaft ausgelöst. Das ist kein laues Lüftchen, sondern ein Megatrend. Die Industrie des 21. Jahrhunderts muss sich neben der Dekarbonisierung auch von linearen Produktions- und Verbrauchsmustern in Richtung Kreislaufwirtschaft verabschieden. In der Circular Economy müssen Materialien in einem Kreislauf bleiben, um nicht als Abfall zu enden, sondern wieder genutzt werden zu können. Da ist eine ganzheitliche Betrachtung notwendig. Von der Rohstoffgewinnung zum Design, der Produktion, Distributionund möglichst langen Nutzung des Produkts bis zum Recycling muss alles berücksichtigt werden. Diese Umstellung ist eine riesige Herausforderung für Industrie und Bauwirtschaft, denn Projekte müssen von Grund auf neu kreislauffähig geplant werden.

Trendsetterin im Gebiet der Circular Economy ist seit einigen Jahren die Niederland. Die Schweiz muss schauen, dass sie den Anschluss nicht verliert.

 

Wie kann der Umbau von Wirtschaft und Industrie sozialverträglich erfolgen?

Wir haben uns an günstige Fossile Energien mit externalisierten Kosten und Billigprodukte aus Asien gewöhnt. Der Abschied von der Wegwerf- zur Kreislaufgesellschaft führt zu teureren, da qualitativ besseren und wertvolleren Produkten. Das wird für Menschen mit bescheidenen finanziellen Mitteln schwierig werden. Sie befürchten, dass ihr Lebensstandard sinken wird, was Ängste auslöst. Diese Menschen müssen wir auf dem Weg der Transformation von Anfang an mitnehmen. Ihnen aufzeigen, dass auch sie von einer nachhaltigeren Wirtschaft profitieren können. Künftig werden wir sicher weniger Produkte besitzen, sondern sie eher mieten oder teilen, was die Kosten auf mehrere Köpfe verteilt. Wo dies nicht möglich ist, müssen wir sozial abfedern, eine Aufgabe für die Politik.

 

Wie beurteilen Sie die Bedeutung von objektiven Nachhaltigkeitsanalysen für Wirtschaft und Politik?

Objektive Nachhaltigkeitsanalysen sind für die Akteure im Transformationsprozess sehr wichtige Begleiter, besonders weil mit stets grösserem Zeitdruck wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden müssen. Gerade für KMUs, die schon im Tagesgeschäft an ihre Grenzen stossen, sehe ich darin einen wichtigen Werkzeugkasten. Vor der Transformation und auf dem Weg dahin müssen Entscheidungen in kurzer Zeit überprüft werden können. Müssen wir uns als Zulieferer anpassen, um den Anschluss nicht zu verlieren und den Anforderungen unserer Kunden zu genügen? Sind wir auf dem richtigen Pfad, damit unsere Firma eine Chance hat oder können wir uns mit diesen Massnahmen sogar einen Wettbewerbsvorteil verschaffen?

Politikerinnen und Politiker ertrinken ebenfalls im Informationsfluss. Gerade in der nationalen Politik, wo wichtige Entscheidungen für die künftige Ausrichtung unserer Wirtschaftspolitik getroffen werden, ist die Belastung enorm. Auch für sie können objektive Nachhaltigkeitsanalysen eine grosse Hilfe bei der Entscheidfindung sein.